Superbia
Ein Tag zwischen Labyrinth und Trüffel in den Euganeischen Hügeln
Blick vom Brunnen zur Villa – barocke Gartenarchitektur in Valsanzibio
Der eine Fehler
Wir hatten nur einen Fehler gemacht: den der Superbia.
Eine Runde im Loop, dann die Erleuchtung – wir waren hier schon. Diese Abzweigung, dieser Buchsbaumschatten, diese Perspektive auf die Hecke. Das Labyrinth von Valsanzibio hatte uns erwischt, aber nicht in einer der sechs Sackgassen, die für Völlerei, Wollust, Geiz, Trägheit, Zorn und Neid stehen. Sondern in der Endlosschleife des Hochmuts, die den gesamten Südost-Quadranten des Labyrinths einnimmt.
Luigi Bernini, Bruder des berühmten römischen Bildhauers Gian Lorenzo Bernini, wusste, was er tat, als er 1665 diesen Garten für Kardinal Gregorio Barbarigo entwarf. Barbarigo stammte aus einer der großen venezianischen Patrizierfamilien und war zu dieser Zeit Bischof von Padua – später wurde er Kardinal und schließlich heiliggesprochen.
Der Hochmut ist nicht einfach eine weitere Todsünde – er ist die Wurzel aller anderen. Und seine architektonische Lösung ist raffiniert: keine Sackgasse, sondern ein Loop. Man bewegt sich, man trifft Entscheidungen, man hat das Gefühl, voranzukommen. Nur dass »voran« hier nirgendwo hinführt. Man dreht sich um sich selbst.
Es braucht Demut, um zu erkennen, dass man verloren ist. Erst dann kann man den Loop durchbrechen.
Das weltweit älteste Pflanzenlabyrinth
Das Buchsbaumlabyrinth von Valsanzibio gilt als das älteste seiner Art weltweit. Zwischen 1665 und 1669 angelegt, besteht es aus sechstausend immergrünen Buchsbäumen (Buxus sempervivens), von denen die meisten über 400 Jahre alt sind. Die Gesamtlänge aller Wege – inklusive der Sackgassen und Irrwege – beträgt etwa 1,5 Kilometer. Die Buchsbaumwände umfassen achttausend Quadratmeter und werden jährlich geschnitten.
Luigi Bernini, Bruder des berühmten römischen Bildhauers und Architekten Gian Lorenzo Bernini, entwarf das Labyrinth als zentralen Teil eines spirituellen Parcours, der an Dianas Pforte – dem monumentalen Eingang zum Garten – beginnt. Das Labyrinth symbolisiert den mühsamen Weg zur menschlichen Vollkommenheit und fordert die Besucher auf, Entscheidungen zu treffen und Hindernisse zu überwinden, um den erhöhten zentralen Turm zu erreichen.
Der ursprüngliche Eingang – von Bernini am Ende des Cardo, der zentralen Achse, versteckt hinter hohen Buchsbaumwänden platziert – erfordert Willenskraft und Entschlossenheit. Denn das Labyrinth symbolisiert auch die Suche nach Tugend, die nicht leicht zu erreichen ist, sondern Engagement verlangt: porta itineris longissima codicir esse – der Eingang zur längsten Reise.
In den 1930er Jahren wurde ein zweiter, weniger tugendhafter, aber praktischerer Zugang durch die Buchsbaumwände am Cardo geschaffen.
Die Architektur der Sünde
Das Labyrinth ist quadratisch, etwa 40 mal 40 Meter, und besteht aus vier Bereichen: Südwest, Nordwest, Südost und Nordost. Es gibt einen einzigen „geraden Weg“ von etwa 380 Metern, der alle Todsünden und andere Fallstricke vermeidet.
Der Superbia-Loop von oben – die Endlosschleife des Hochmuts im Südost-Quadranten
Von oben betrachtet – vom zentralen Turm aus – scheint alles auf derselben Ebene zu liegen. Aber das täuscht. Der Bereich, in dem das Labyrinth liegt, ist der einzige Teil des Gartens, der nicht terrassiert wurde. Das Gelände fällt natürlich von den Hügeln im Westen zum Tal im Osten ab. Die Pflanzen sind im Westen, am Eingang, etwa 1,65 Meter hoch und erreichen im östlichsten Teil, etwa auf halber Strecke des »geraden Weges«, über 2,65 Meter.
Die beiden östlichen Quadranten, die höchsten und dunkelsten Teile des Labyrinths, beherbergen die sieben Todsünden. Die ersten sechs – Völlerei, Wollust, Geiz, Trägheit, Zorn und Neid – sind im Nordost-Quadranten als sechs Sackgassen konzentriert. Der gesamte Südost-Quadrant ist der siebten Todsünde gewidmet: dem Hochmut, dargestellt als unendliche Schleife.
Immanenz und Transzendenz
Nach dem Labyrinth führt der Weg zur Kanincheninsel und zur Statue der Zeit – zwei gegensätzliche Pole derselben Meditation.
Die Kanincheninsel, auch garenna genannt, symbolisiert die Immanenz, den irdischen Zustand der Lebewesen im Gegensatz zur Ewigkeit. Sie erscheint als leicht erhöhte elliptische Insel, umgeben von einem Wasserkanal. In ihrem Zentrum steht ein sechseckiger Pavillon mit einer Voliere. Die venezianischen Patrizierfamilien waren praktisch veranlagt und verbanden Geschäft mit Vergnügen: Die Fischteiche und die Kanincheninsel waren dekorative Lebensräume mit allegorischer Bedeutung, lieferten aber auch den Sonntagsbraten. Allegorie und Nutzen, contemplatio und vita activa, in einem.
In diesem Bereich sind auch die Kalifornische Zeder (Calocedrus decurrens) und die Südliche Magnolie (Magnolia grandiflora) bemerkenswert, die 1665 aus der Neuen Welt gebracht wurden und als die ältesten Exemplare ihrer Art in Europa gelten. Der älteste Baum des Gartens, eine Gemeine Eibe (Taxus baccata), wird auf über 900 Jahre geschätzt – sie stand hier also schon im 12. Jahrhundert, lange bevor Barbarigo und Bernini an diesen Garten dachten.
Am anderen Ende der zentralen Achse steht die Statue der Zeit: Kronos, der Gott der Zeit. Er lehnt sich auf ein Stundenglas, Symbol der unerbittlichen Zeit, und kniet unter einem Dodekaeder, dessen zwölf Flächen die Monate des Jahres und die Last der vergehenden Zeit darstellen. Das Spiel von Licht und Schatten auf seinen Flächen deutet an, dass einige Jahre positiv, andere negativ sein mögen.
Kronos wird mit ausgebreiteten Flügeln dargestellt, die uns daran erinnern, dass die Zeit fliegt und Stunden und Jahre schnell vergehen. Sein Gesicht ist nach Westen gerichtet, zum Sonnenuntergang, und lädt uns ein, das Wesen des sterblichen Lebens zu erfassen, den flüchtigen Moment: carpe diem.
Zeit und Bewegung
Zeit und Bewegung
Das Foto zeigt Michaela, wie sie an Kronos vorbeigeht. Nicht zufällig im Bild, sondern Teil der Komposition: Sie bewegt sich, er bleibt. Sie ist im Schatten der Bäume, er im Licht. Die Geometrie des gestuften Sockels, die Silhouette von Kronos gegen das durchbrochene Blätterdach, die Texturen des verwitterten Steins – die Statue zum Dokument der Zeit, die sie selbst darstellt.
Die Person geht vorbei, die Zeit sitzt. Das ist fast zu perfekt als Metapher. Aber manchmal ist die Realität genauso allegorisch wie die barocke Ikonografie von Valsanzibio.
Carpe diem: La Torre
Nach all der barocken allegorischen Inszenierung, nach Todsünden und Vergänglichkeitsmeditationen, nach Kronos und seinem memento mori, gab es nur eine angemessene Reaktion: pranzo.
Wir machten einen kurzen Abstecher nach Arquà Petrarca, zu Petrarcas Grab auf dem Kirchplatz, in rotem Veroneser Marmor – nicht in der Kirche, sondern draußen, wie er es gewünscht hatte. Petrarca kam 1370 hierher, weil ihm Venedig zu laut und politisch zu kompliziert war. Er wollte Ruhe zum Schreiben und seinen Garten. Er starb hier 1374, über seinen Büchern eingeschlafen.
Dann weiter nach Monselice, zum wunderbar altmodischen Ristorante La Torre. Oktober ist die richtige Zeit für weißen Trüffel – die Saison läuft von September bis Dezember, und jetzt, im Herbst, sind die Trüffel auf ihrem Höhepunkt.
Tagliolini mit Butter und großzügig gehobeltem Tartufo bianco. Sonst nichts. Kein Parmesan, keine Kräuter, nichts, was den Trüffel überdecken könnte. Das ist luxury through simplicity – ein Gericht, das nur funktioniert, wenn jede Zutat perfekt ist.
Das passt zusammen: Trüffel und Petrarca gehören beide zu dieser Landschaft. Die Colli Euganei als Rückzugsort für Dichter, Denker und Genießer. Immanenz und Transzendenz, nicht als Gegensatz, sondern als zwei Seiten derselben Erfahrung. Barock halt.
Durch die Hügel, in die Ebene, und zurück
Nach dem Pranzo fuhren wir weiter durch die Euganeischen Hügel zu einer Ölmühle. Das Oktoberlicht in dieser Landschaft hat eine besondere Qualität – selbst am frühen Nachmittag ist es weicher als im Sommer, weniger grell. Die sanften, kegelförmigen Erhebungen vulkanischen Ursprungs mitten in der flachen Po-Ebene, jeder Hügel mit seinem eigenen Charakter. Weinberge, Olivenhaine, Villen, die sich an die Hänge schmiegen. Wir kauften Olivenöl, noch eine Form der Erdung nach der spirituellen Reise durch Valsanzibio.
Dann der Abstecher nach Montagnana, hinaus aus den Hügeln, in die westliche Ebene. Hier ist alles anders: flaches Land, fette Muttererde, Tabakanbau, Schweinezucht für den berühmten Prosciutto Veneto Berico-Euganeo. Und mitten in dieser Ebene: die mittelalterliche Stadtmauer von Montagnana, nahezu vollständig erhalten – über zwei Kilometer lang, mit 24 Türmen und vier Toren. Von außen sieht das aus wie eine Filmkulisse, fast zu perfekt, um wahr zu sein.
Montagnana – die mittelalterliche Stadtmauer als Kulisse des Alltags
Die Mauer wurde teilweise unter Ezzelino III. da Romano gebaut, dem »Tyrannen«, einer der düstersten Figuren des 13. Jahrhunderts in Norditalien. Verbündeter Friedrichs II., berüchtigt für seine Grausamkeit. Die Stadtmauer war echte Verteidigungsarchitektur, nicht Dekoration – Montagnana lag strategisch zwischen Padua und Verona und war ständig umkämpft.
Während Valsanzibio die Vergänglichkeit akzeptiert und Kronos nach Westen blickt, zum Sonnenuntergang, wehrt sich Montagnana mit meterdicken Mauern gegen die Zeit. Zwei Strategien, mit derselben Erkenntnis umzugehen: dass alles endet.
Dann zurück durch die Colli Euganei, über Padua, und schließlich die Brücke nach Venedig.
Zurück nach Venedig
Campo Santa Margherita. Zu Hause im Salotto, ein Glas Rotwein, der Tag sackt langsam ein.
Venedig ist eine Stadt, die selbst eine Meditation über Zeit ist. Gebaut auf Wasser, permanent von den Gezeiten umgeformt, langsam sinkend, und doch immer noch da.
Wer in Venedig wohnt, braucht diese Ausflüge ins Hinterland. In die Stille der Euganeischen Hügel, nach Valsanzibio, Arquà Petrarca, Montagnana. Die Stadt ist großartig, aber sie kann auch erdrückend sein. Die Colli Euganei sind nah genug für einen Tagesausflug, weit genug weg, um eine gänzlich andere Welt zu sein.
Carpe diem – aber nicht als billiger Hedonismus, sondern als Konsequenz aus der ganzen Reise. Das Leben ist kurz, die Zeit fliegt, Kronos trägt die Last der Monate. Also: Nimm den Tag, iss die Trüffel, kauf das Olivenöl, schau dir die alten Mauern an. Und dann geh nach Hause, setz dich hin, trink ein Glas Wein.
Adressen:
Giardino Monumentale di Valsanzibio
Via Diana, 2, 35030 Valsanzibio di Galzignano Terme (PD)
www.valsanzibiogarden.com
Geöffnet März bis November
La Torre
Piazza Giuseppe Mazzini, 14 - 35043 MONSELICE (PD)
https://www.ristorantelatorremonselice.it/
Olivenöl
Frantoio Evo del Borgo
Via Fonteghe, 17, Arquà Petrarca (Padua)
https://www.evodelborgo.com/